„Grüß Gott, meine lieben Damen, meine werten Herren. Ich freue mich, dass ich heute Morgen den Reigen der drei Vorträge über den Zweiten Weltkrieg und die Vorkriegsgeschichte eröffnen darf.
Bekenntnisse eines Laienhistorikers
Sie haben sicherlich anhand der drei kurz gefassten Lebensläufe in der Einladung für die heutige Veranstaltung festgestellt, dass ich der einzige Laienhistoriker in diesem Trio der Vortragenden bin. Und so will ich Ihnen kurz zu Beginn eine Erklärung dafür abgeben, wie ich als Laie dazu komme, mich mit einem geschichtlichen Thema zu befassen — mit dem Thema Vorgeschichte Zweiter Weltkrieg.
Gründe für Aufrüstung
Vor ein paar Jahren bin ich der Frage nachgegangen, inwieweit die deutsche Bevölkerung in den dreißiger Jahren aus der deutschen Hochrüstung zwischen 1933 und 39 auf Hitlers Kriegsabsichten schließen konnte. Ich habe einmal als junger Generalstabsoffizier im Bereich der Rüstung gearbeitet, und von damals habe ich immer noch im Hinterkopf, dass man ja nicht rüstet, um sein Geld gut anzulegen. Dann geht man besser zur Sparkasse in München. Sondern man rüstet, um sich gegen jemand zu verteidigen oder jemand anzugreifen oder jemandes Bündnispartner zu werden. Es gibt immer diesen Jemand als Referenzsystem für die eigene Rüstung.
Aufrüstung im Vergleich
Und wenn man erkennen will, zu welchem Zweck ein Land rüstet, dann muss man seine Rüstung mit der Rüstung der umgebenden Nachbarländer vergleichen. Daraus kann man ungefähr die Absichten, die hinter dieser Rüstung stehen, ablesen.
Aufrüstung mit Angriffsabsichten oder für den Notfall?
Da gibt es eine ganz einfache Faustformel: Wenn ein Staat versucht, dreimal so viele Streitkräfte zu haben wie seine Nachbarn oder wie sein stärkster Nachbar, dann kann man ihm Angriffsabsichten unterstellen. Wenn sich ein Land mit etwa einem Drittel der Streitkräfte der Nachbarn zufrieden gibt, kann man davon ausgehen, dass es nur rüstet, um sich im Notfall verteidigen zu können.
Deutsche Aufrüstung im Vergleich mit den Nachbarn
Wenn ich belegen wollte, dass Hitler ab 1933 einen Angriffskrieg vorbereitet hat, dann musste ich die deutsche Rüstung mit der zeitgleichen Rüstung der Nachbarländer vergleichen. Und zwar ganz konkret deutsche Rüstung vergleichen mit der Rüstung Frankreichs und der Staaten, die mit Frankreich gegen Deutschland verbündet waren, also England und Sowjetunion gar nicht mal mitgezählt, weil die ja nicht unsere unmittelbaren Nachbarn sind.
Deutsche Quellen schweigen
Also griff ich mir die einschlägige deutsche Fachliteratur und suchte nach der zeitgleichen Rüstung des Auslandes und fand nichts. Die gesamte deutsche erzählende Nachkriegsgeschichtsschreibung schweigt sich weitgehend zur zeitgleichen Röstung des Auslandes aus. Nur die ausländische Marine-Rüstung, die ist in Deutschland hervorragend dokumentiert.
Suche in ausländischen Quellen
Also wenn ich die Zahlen brauchte, die ich zu meinem Vergleich haben mußte, dann mußte ich an ausländische Literatur herangehen. Und so habe ich mir tschechische, französische, englische, amerikanische besorgt, die es alle in guter deutscher Übersetzung gibt.
Schwierigkeit: Betrachtungsweise der Historiker
Nun schreiben ja Historiker keine Rüstungsgeschichte ihres Landes, sondern sie schreiben über Innenpolitik, Außenpolitik, Kultur, Wirtschaft, wenn man Glück hat, auch mal über Sicherheitspolitik. Und wenn ich noch mehr Glück hatte, fand ich auch Zahlen über Rüstung.
Gefunden, aber nicht gesucht
So habe ich viel suchen müssen und viel lesen müssen, um die paar Zahlen zu finden, die ich brauchte. Und dabei habe ich vieles gefunden, nachdem ich überhaupt nicht gesucht habe.
Mitschuld ausländischer Regierungen an Zweitem Weltkrieg
Ich habe zu meinem großen Erstaunen festgestellt, dass eine ganze Reihe ausländischer Historiker nach dem Krieg ihren Regierungen der zwanziger und dreißiger Jahre vorwerfen, sie hätten den Zweiten Weltkrieg verhindern können, wenn sie es nur gewollt hätten. Manche gehen sogar so weit, ihren Regierungen vorzuwerfen, sie hätten den Zweiten Weltkrieg mit angezettelt.
Wer hat den Zweiten Weltkrieg angezettelt?
Solches hatte ich in deutscher Literatur nie gelesen. Da bin ich neugierig geworden und habe mir mehr Bücher besorgt, mehr gelesen. Dann habe ich geguckt, aus welchen Quellen diese Historiker schöpfen, habe mir die Quellen besorgt, soweit mir das möglich war, bin in Archive gegangen, habe Memoiren gelesen. Und damit hing ich an dem Thema: Wer hat eigentlich den Zweiten Weltkrieg angezettelt? Darüber will ich nun sprechen.
Die Wahrheit über die Rüstungsverhältnisse
Aber ehe ich auf dieses Thema komme, will ich Ihnen noch das Rätsel auflösen: Wie war denn nun das Rüstungsverhältnis Deutschland – benachbartes Ausland 1933? Frankreich und die mit Frankreich gegen Deutschland verbündeten Staaten hatten 1933 an aktiven Friedensheeres-Divisionen eine Überlegenheit von eins zu zwölf. Und wenn man die ausgestatteten und ausgebildeten Reservegroßverbände mitzählt, war die Überlegenheit eins zu 97.
Interesse der deutschen Bevölkerung an Aufrüstung
Wenn man sich dann noch ins Gedächtnis zurückruft, dass im damaligen Frieden, wir hatten ja schließlich den Versailler Frieden geschlossen, in Friedenszeiten französische Truppen in Deutschland einmarschierten, belgische Truppen, litauische Truppen, polnische Truppen und Milizen und Grenzbereiche Deutschlands, wie zum Beispiel das Ruhrgebiet, was ja nicht mal ein Grenzbereich ist, zeitlich begrenzt oder für immer besetzt haben und annektiert haben, da kann man verstehen, dass die Bevölkerung, deutsche Bevölkerung 1933 eine ganz andere Brille für dieses Problem aufhatte. Sie wollte nicht mehr, dass jeder Nachbarstaat auf unserem Territorium machen konnte, was er wollte und dass die kleine Reichswehr mit den zehn Divisiönchen das nicht abwehren konnte. Die Masse der deutschen Bevölkerung hat damals die Wiederaufrüstung begrüßt, weil sie Schutz wollte.
Rüstungssituation war kein Indiz für Angriffskrieg
Und selbst zu Kriegsbeginn, als dieser Rüstungsprozess zunächst mal zu bilanzieren ist, hatten wir Deutsche immer noch eine Heeres-Unterlegenheit von eins zu zweieinhalb. Von daher konnte die deutsche Bevölkerung damals aus diesem Indiz nicht schließen, dass die deutsche Rüstung auf einen Angriffskrieg hin ausgelegt war.
So, und nun habe ich Ihnen erklärt, über welchen Umweg ich zu meinem Thema gekommen bin: Entstehung des Zweiten Weltkriegs.
Der lange Anlauf zum Zweiten Weltkrieg
Meine Damen und Herren, ich war von dem, was mir durch ausländische Literatur und durch Akteneinsicht in Archiven erschlossen hat, so fasziniert, dass ich bald beschloss, das zusammenzufassen und in einem Buch zu veröffentlichen. Und so entstand mein Buch „1939: Der Krieg, der viele Väter hatte“. Nun ist der Titel etwas irreführend. Man könnte meinen, das Buch handle vom Krieg. Aber das Schlüsselwort sind die ‚vielen Väter‘ und nicht der Krieg. So heißt das Buch dann richtigstellenderweise auch im Untertitel: ‚Der lange Anlauf zum Zweiten Weltkrieg‘.
Ausblick auf weitere Vorträge
Herr Dr. Scheil wird dann im zweiten Vortrag dieses Vormittags das Staffelholz übernehmen und mit seinem Vortrag „Der Krieg, der nicht zu stoppen war“ über den Krieg selbst sprechen. Und Herr Dr. Post wird heute Nachmittag über den Krieg im Pazifik sprechen.
Lage in Europa zwixchen den beiden Weltkriegen
Zur Vorgeschichte des Krieges: Die Lage in Europa ist seit dem Ende des Ersten Weltkriegs vor dem Zweiten Weltkrieg nie frei von Spannungen und Kriegen gewesen. Polen und die Sowjetunion hatten ihre Spannungen und Kriege. Polen und Litauen hatten Spannungen und einen Krieg. Frankreich und Italien hatten Differenzen um Territorien. Genauso Dänemark und Norwegen, Italien und England, Jugoslawien und Österreich, Deutschland und die Tschechoslowakei, Ungarn und die Tschechoslowakei, Polen und die Tschechoslowakei. Spanien und Italien, Italien und Albanien, und so weiter.
Der große Knall
Das alles hält Europa zwar in einem gewissen dauerhaften Fieberzustand, doch der große Knall kommt erst, als Deutschland 1933 Danzig zurückverlangt und dazu noch eine exterritoriale deutsche Autobahn durch den polnischen Korridor hindurch vom Reichsgebiet in das seit 1918 abgetrennte Ostpreußen.
Danzig- und die Korridorfrage gegen Polens und Englands Willen
Für mich hatte Adolf Hitler nach meinem früheren Verständnis den Zweiten Weltkrieg ausgelöst, als er mit Brachialgewalt die Danzig- und die Korridorfrage gegen Polens und Englands Willen durchsetzen wollte.
Entscheidend ist, was vorausgegangen ist
1967 hat der israelische Botschafter Asher Ben Nathan, Botschafter in Bonn, interessanterweise einmal auf die Frage eines Journalisten, wer denn den Sechstagekrieg begonnen und wer die ersten Schüsse abgegeben habe, geantwortet: ‚Das ist gänzlich belanglos. Entscheidend ist, was den ersten Schüssen vorausgegangen ist.‘ Und genau damit bin ich bei der Frage, die ich mir früher so nie gestellt habe: Was ist den ersten Schüssen vom September 1939 vorausgegangen? Eine Vorgeschichte, über die ich jetzt sprechen will.
Geschichtsbild aus der Schulzeit
Ich habe in den vergangenen Jahren ja einiges gelesen, das meine einfache Sicht mit Hitler als alleinigen Verursacher des Zweiten Weltkriegs differenziert hat. Da habe ich mich natürlich fragen müssen, woher mein so einfaches Geschichtsbild kam. Ich hatte mein Geschichtsbild von dem, was man so hört und liest, vor allem aber aus meiner eigenen Schulzeit.
Was steht in aktuellen Schulgeschichtsbüchern?
Und da habe ich mich gefragt, was die Schulkinder denn heute so lernen, heute über die Entstehung des Zweiten Weltkriegs. Da habe ich mir das Schulgeschichtsbuch meiner jüngsten Tochter genommen, mit dem die in Buxtehude durch das Abitur gegangen ist: ‚Unsere Geschichte‘, Band vier, von Diesterweg. Dieses Schulgeschichtsbuch vermittelt den Kindern ein sehr einleuchtendes Bild von der Genese des Zweiten Weltkrieges. Es vermittelt den Schülern das Bild von einer Reichsregierung, die 1939 auf den Krieg drängt, die nicht vor allem die Danzigfrage lösen will, sondern die Polen erobern will.
Hitler-Zitat: Angst vor einem Vermittlungsplan
Dazu zitiert dieses Schulbuch aus einer Hitlerrede, die Hitler am 22. August 1939, eine Woche vor Kriegsbeginn, vor Befehlshabern der Wehrmacht hält. Ich möchte Ihnen das mal vorlesen, was hier an Zitat steht, und diese Zitate finden Sie in fast allen Schulgeschichtsbüchern Niedersachsens. Hier sagt Hitler vor dem Befehlshabern, so in diesem Buch zitiert: „Die Gegner haben nicht mit meiner großen Entschlusskraft gerechnet. Unsere Gegner sind kleine Würstchen. Ich sah sie in München. Nun ist Polen in der Lage, in der ich es haben wollte. Ich habe nur Angst, dass mir noch im letzten Moment irgendein Schweinehund einen Vermittlungsplan vorlegt.“ Seite 128 dieses schönen Geschichtsbuchs.
Gefälschtes Zitat als Bildungsinhalt
Die Schüler lernen mit dieser Redewendung, dass Hitler Krieg um jeden Preis wollte. Ich erinnere Sie noch einmal an den zuletzt zitierten Satz: „Ich habe nur Angst, dass mir noch irgendein Schweinehund einen Vermittlungsvorschlag vorlegt.“ Der Satz spricht Bände. Nur er ist eine Fälschung. Er ist für den Nürnberger Prozess nachträglich in das Redeprotokoll dieser Hitleransprache eingefügt worden, um die Rede etwas als Beweismaterial gegen die Hauptangeklagten anzuspecken.
Die Wahrheit: Um Verhandlungen bemüht
Der Eindruck, der den Schülern hier vorgetäuscht wird, ist, dass Hitler nicht verhandelt hat und dass Hitler nicht verhandeln wollte. Wussten Sie, dass Hitler noch am Nachmittag vor Kriegsbeginn dem Reichstagspräsidenten und Luftfahrtminister Göring seine Zustimmung für Verhandlungen mit dem englischen Botschafter in Berlin gegeben hat, um den Krieg abzuwenden und die Danzigfrage ohne Krieg zu lösen? Wussten Sie, dass die deutsche Reichsregierung die britische Regierung gebeten hatte, in der Danzigfrage zwischen Deutschland und Polen zu vermitteln? Wussten Sie, dass Hitler in den letzten zehn Tagen vor dem Krieg an die italienische Regierung geschrieben hat, an die französische und an die englische, um den Krieg abzuwenden? Danzig-Problem ohne Krieg zu lösen?
16-Punkte-Plan zur Regelung der deutsch polnischen Differenzen
Wussten Sie, dass die deutsche Reichsregierung den Polen kurz vor Kriegsausbruch einen 16-Punkte-Vorschlag zur Regelung der deutsch polnischen Differenzen gemacht hat? Die Polen haben diesen Vorschlag nicht angenommen. Nicht nur inhaltlich, was nicht verwundern würde, sondern sie haben ihn sächlich nicht angenommen. So musste dieser Vorschlag über London nach Warschau gehen, und so kam er in die Hände der britischen Kabinettsmitglieder.
Was nicht sein darf, kann nicht sein: Medienmanipulation
Wie das denn so manchmal ist: Mancher Minister nimmt seine Dienstsachen wohl mit nach Hause. Die Frau des gerade zurückgetretenen britischen Marineministers Cooper bekam die 16 deutschen Punkte bei ihrem Ehemann zu lesen, las sie, und sagte zu ihrem Man: ‚Ich weiß gar nicht, was du willst. Der deutsche Vorschlag ist doch so vernünftig.‘ Da packte den Minister Cooper das Entsetzen, denn ihm wurde auf einmal klar, dass die britische Öffentlichkeit auf den deutschen Vorschlag genauso reagieren könnte wie seine eigene Frau. Und Cooper rief stehenden Fußes die Redaktionen von Daily Mail und Daily Telegraph an und forderte die Redakteure auf, den deutschen Vorschlag in einem möglichst ungünstigen Licht darzustellen.
Taktisches Täuschungsmanöver
Nun hatte die Reichsregierung angekündigt, diesen 16-Punkte.-Vorschlag am Abend dieses Tages über Rundfunk bekannt zu geben. Und da bat dann auch noch der englische Botschafter in Berlin, Henderson, im Außenministerium, man möge diesen deutschen Vorschlag nicht über Rundfunk bekanntgeben, mit der etwas fadenscheinigen Begründungen, dass könne ja die Verhandlungen mit den Polen stören.
Französische Historiker entlarvt Farce
Der französische Historiker Rassinier hat nach dem Krieg über diesen deutschen Friedensvorschlag geschrieben: ‚Hätten das französische und das britische Volk am 30. August 139 von diesem deutschen Vorschlag Kenntnis gehabt, so hätten Paris und London kaum den Krieg an Deutschland erklären können, ohne einen Sturm der Entrüstung hervorzurufen, der den Frieden durchgesetzt hätte.‘
Offizielle und amtliche Quellen
Nun werden Sie sich fragen, woher ich das alles weiß. Ich weiß das aus den Akten des Nürnberger Prozesses, aus den Akten des Foreign Office, aus den Akten des Auswärtigen Amtes, aus den Darstellungen zweier französischer Historiker und aus den Schilderungen der damals beteiligten Botschafter.
Polen verweigerte direkte Verhandlungen
In den letzten zehn Tagen vor Kriegsausbruch ist intensiv zwischen Berlin und London verhandelt worden, um die deutsch polnischen Probleme ohne Krieg zu lösen. Die Polen weigerten sich, darüber zu verhandeln. So ging das alles über London.
Humanitäre Tragödie der nicht polnischen Minderheiten in Polen
Welches waren die Probleme? Wir alle wissen doch, dass es sich damals um Danzig gehandelt hat und um die exterritorialen Verkehrsverbindungen vom Reichsgebiet in das damals abgetrennte Ostpreußen, also um die sogenannte Korridorfrage. Was vergessen ist und was seit dem Kriege aus den deutschen Schulbüchern verbannt ist, ist die humanitäre Tragödie der nicht polnischen Minderheiten in Polen. Das nach 1990 wieder selbständige Polen hatte neben 19 Millionen polnischen Polen, polnisch sprechenden und römisch katholischen Staatsbürgern auch 5 Millionen Ukrainer, 2,5 Millionen Juden, 2 Millionen Deutsche, 1,2 Millionen Weißrussen und in die Zigtausende zählende Minderheiten an Litauern, Tschechien, Ungarn und Slonsaken und Kaschuben.
Verfolgung nicht-polnischen Staatsbürger
Die 19 Millionen polnischen Polen versuchten von 1919 an, ihre etwa 11 Millionen nicht polnischen Staatsbürger sprachlich zu polonisieren und konfessionell zu katalysieren. Sie kündigen das Minderheitenschutz-Abkommen, das ihnen die Siegermächte 1920 auferlegt hatten, und verfolgten die nicht-polnischen Staatsbürger im eigenen Staat.
Beispiel: Ukrainische Minderheit
Wenn ich Ihnen jetzt etwas über das Schicksal der Volksdeutschen in Polen vortragen würde, würde sicher mancher von Ihnen denken: ‚Na ja, das ist Vertriebenengerede, das kennen wir schon.‘ Deshalb will ich nicht über die Volksdeutschen sprechen, sondern über die größte Minderheit in Polen, über die 5 Millionen Ukrainer. Deren Schicksal ist deshalb gut dokumentiert worden, weil viele Ukrainer in der damaligen Zeit aus Polen nach Kanada, nach British Canada ausgewandert sind. Und so haben sich britische Medien und Parlamente immer wieder um das Schicksal der Ukrainer in Polen gekümmert und das beobachtet.
Manchester Guardian berichtet über Missstände
So schreibt der Manchester Guardian am 14. Dezember 1931: ‚Die Minderheiten in Polen sollen verschwinden. Diese Politik wird rücksichtslos vorangetrieben, ohne die geringste Beachtung der öffentlichen Meinung in der Welt, der internationalen Verträge und des Völkerbunds. Die Ukraine ist unter polnischer Herrschaft zur Hölle geworden. Von Weißrussland kann man dasselbe mit noch größerem Recht sagen. Das Ziel der polnischen Politik ist das Verschwinden der nationalen Minderheiten auf dem Papier und in der Wirklichkeit.‘ Soweit der Manchester Guardian.
Kritik vor dem englischen Oberhaus
Ich sagte, auch die Parlamente haben sich ab und zu mit dieser Minderheitenfrage in Polen befasst. So liegt ein Protokoll einer Sitzung des Oberhauses vom 15. Juni 1932 vor, in dem ein Lord Noel Buxton vor dem Oberhaus über die jüngsten Verhandlungen beim Völkerbund in Genf vorträgt. Er sagt: ‚In den letzten Tagen sind auf den Tagungen des Rats des Völkerbundes wichtige Fragen, die die nationalen Minderheiten betreffen, behandelt wurden. Vor allem wurde auf der Januartagung ein Bericht verhandelt, der sich mit der sogenannten Terrorisierung beschäftigte, die im Herbst 1930 in der polnischen Ukraine stattgefunden hat. Die Assimilierung durch Zerstörung der Kultur ist dort an der Tagesordnung.
Bildungs-Restriktionen
Aus dem Korridor und aus Posen sind bereits nicht weniger als 1 Million Deutsche seit der Annexion abgewandert, weil sie die Bedingungen dort unerträglich finden. Im polnischen Teil Ostgaliziens wurden vom Ende des Krieges bis 1929 die ukrainischen Volksschulen um Zweidrittel vermindert. In den Universitäten, in denen die Ukrainer unter österreichischer Herrschaft elf Lehrstühle innehatten, besitzen sie jetzt keinen, obwohl ihnen 1922 von der polnischen Regierung eine eigene Universität versprochen worden war. In dem Teil der polnischen Ukraine, der früher zu Russland gehörte, in Wolhynien sind die Bedingungen noch härter. In der ganzen Ukraine gibt es ein System der polizeilichen Verfolgung.‘
Belege für mittelalterliche Folter
Dieser Lord Noel Buxton fährt an späterer Stelle fort: ‚Wir können in diesem Zusammenhang eine besonders beklagenswerte Tatsache nicht beiseite lassen, nämlich die Folterung von Gefangenen in Gefängnissen und von Verdächtigen, die sich die Ungnade der polnischen Behörden zugezogen haben. Überzeugende Beweise dafür, dass in solchen Fällen mittelalterliche Foltern angewendet werden, liegen zu meinem Bedauern vor. Diese Darstellungen wurden im Völkerbundsrat durch Lord Cecil als Delegierten der britischen Regierung als das Gewissen der Menschheit erschütternd bezeichnet. Sie sind vom Völkerbundsrat nicht untersucht worden, wie das hätte erfolgen müssen.‘
Kritik auch in Frankreich
Soweit zwei englische Stimmen. Aber auch in Frankreich ist nicht unbeobachtet geblieben, was sich im Polen der damaligen Zeit mit den Minderheiten abgespielt hat. So schreibt ein französischer Slawistik-Professor, der insgesamt drei Bücher über das Polen der damaligen Zeit geschrieben hat und der den Anschluss der Westukraine, den Zwangsweisen an Polen vor Ort miterlebt hat: ‚Es wurde erschossen, gehängt, gefoltert, eingesperrt, beschlagnahmt. Viele ukrainische Priester wurden hingerichtet. Um Überfüllungen zu vermeiden, machten die Polen keine Gefangenen. Die Gefängnisse von Lemberg quellen über von Ukrainern aller Schichten, deren einziges Verbrechen darin bestand, Ukrainer zu sein oder Ukrainisch zu sprechen.‘ Das war die Stimme eines Franzosen.
Juden verlassen Polen
Den anderen Minderheiten ging es nicht anders. Zwischen 1934 und 38, als in Deutschland schon die Judenverfolgung läuft, verlassen 757.000 Juden, also über eine halbe Million Juden Polen und suchen in Deutschland oder auf dem Weg über Deutschland Zuflucht im Ausland.
Mehrfach Minderheitenschutz-Abkommen
1939 verschlechtert sie auch die Lebensbedingungen der deutschen Minderheit wieder dramatisch. Ich hatte schon erwähnt, dass die Polen das Minderheitenschutz-Abkommen von 1920 einseitig aufgekündigt hatten. Die Reichsregierung hat dann 1934 mit der polnischen Regierung ein bilaterales Minderheitenschutz abkommen geschlossen, dessen Wirkung nicht lange vorgehalten hat. Dann hat die Reichsregierung noch einmal im November 1937 ein bilaterales Minderheitenschutz-Abkommen mit den Polen geschlossen. Und dessen Wirkung war 1939 auch schon wieder verpufft.
Repressalien gegen Deutsche
Den Deutschen wurden Schulen geschlossen, Geschäfts- und Betriebslizenzen entzogen, Arzt-Approbation entzogen, Bauernhöfe angesteckt, Geschäfte boykottiert, Deutsche auf offener Straße verprügelt. Und die Deutschen, die versuchten, dieser Drangsal durch Flucht ins Reichsgebiet zu entkommen, wurden, wenn sie an der Grenze gestellt wurden, beschossen und erschossen, wie Jahrzehnte später Deutsche auf der Flucht aus der DDR in den Westen. Ähnliche Verhältnisse.
Kein kollektiven Gedächtnis für humanitäre Tragödie in Polen
Trotzdem sind im August 1939 bereits etwa 80.000 deutsche Flüchtlinge aus Polen in den Sammellagern im Reichsgebiet und im Danziger Gebiet angekommen. Alle Minderheiten in Polen erleiden 1939 eine humanitäre Tragödie wie die Minderheiten in Jugoslawien unter Milosevic. Nur da haben wir noch die Fernsehbilder im Gedächtnis. Und deshalb ist das im kollektiven Gedächtnis Europas erhalten. Von der Minderheitentragödie 1939 und davor in Polen ist im kollektiven Gedächtnis Europas nichts mehr erhalten. Und auch unsere Schulbücher schweigen sich darüber aus.
15.000 Minderheitenbeschwerden ohne Abhilfe
Von 1920 bis 39, also in der Zwischenkriegszeit, gehen beim Völkerbund in Genf etwa 15.000 Minderheitenbeschwerden aus Polen ein, denen der Völkerbund nicht abhilft. Das Auswärtige Amt in Berlin registriert allein im letzten Halbjahr vor Kriegsbeginn etwa 1.500 Fälle von Willkürakten, Rechtsbrüchen und Drangsalierungen an Deutschen in Polen. Der damalige Staatssekretär von Weizsäcker, Stellvertreter des Reichsaußenministers von Ribbentrop und übrigens auch Vater unseres späteren Bundespräsidenten, schreibt dazu in seinen Erinnerungen: ‚Unsere diplomatischen und Konsularberichte aus Polen zeigten, wie 1939 die Welle immer höher auflief und das ursprüngliche Problem Danzig und die Passage durch den Korridor überdeckte.‘
Hitler drängt auf klare Regelung
In dieser Lage einer humanitären Katastrophe glaubte Hitler zu einer baldigen Regelung der Danzig-, der Korridor- und der Minderheitenfrage kommen zu müssen. Und er hat das gegenüber den Briten und Franzosen 1939 immer wieder zum Ausdruck gebracht. In jeder Note, in jedem Gespräch hat er gesagt und geschrieben, dass die deutsch polnischen Probleme noch in diesem Jahr 1939 wegen des Schicksals der verbliebenen 1 Million Deutschen in Polen geregelt werden muss. Er hat immer gesagt und geschrieben: ‚Es ist unaufschiebbar geworden.‘ Hitler hat den Polen seit Oktober 1938 immer wieder Vorschläge unterbreitet und im August 39, also elf Monate später, dann ein Ultimatum gestellt.
Angriffsbeginn mehrmals verschoben
Etwas, was mich sehr erstaunt hat, war, dass Hitler in den letzten Tagen vor Kriegsausbruch, als er schon den Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion in der Tasche hatte, die Wehrmacht also hätte losschlagen können., dass Hitler dann noch dreimal den schon festgelegten Angriffsbeginn der Wehrmacht verschoben hatten. Es ist interessant, in den Tagebüchern der Wehrmacht seine Begründung zu lesen. Er sagt jedes Mal: ‚Ich brauche noch Zeit zum Verhandeln.‘ Und dann steht in unseren Schulgeschichtsbüchern die das schöne gefälschte Hitler-Satz: ‚Ich habe nur Angst, dass mir noch ein Schweinehund einen Vermittlungsvorschlag vorlegt.‘
Pendeldiplomatie mit Unterstützung von schwedischem Industriellen
Hitler hat sich bei seinen Verhandlungen eines schwedischen Vermittlers bedient, des schwedischen Industriellen Birger Dahlerus. Dahlerus hatte ausgezeichnete Privat- und Geschäftskontakte sowohl nach London als auch nach Berlin. Er hatte sich zu diesen Vermittlerdiensten, weil er ein persönlicher Bekannter von Göring war, selbst angeboten. Und er hat in den letzten zehn Tagen vor Kriegsbeginn das gemacht, was wir heute eine Pendeldiplomatie nennen: Er ist ein oder zweimal pro Tag zwischen London und Berlin hin und her geflogen, hat die Noten überbracht, die Lösungsvorschläge, die jede Seite gemacht hat, und hat jeweils interpretiert der einen Seite, was die andere Seite so denkt und wie weit sie in Kompromissen gehen könnte. Er war ein ehrlicher Makler.
Übereinstimmende Quellen: Kein Zweifel an Verhandlungen
Man kann den Gang der Verhandlungen aus den Aufzeichnungen des Birger Dahlerus genau rekonstruieren. Man kann sie auch aus den Akten des deutschen Auswärtigen Amtes genau rekonstruieren, auch aus den Akten des englischen Foreign Office und aus dem Prozess-Akten des Nürnberger Prozesses und aus den Aufzeichnungen der beteiligten deutschen und englischen Botschafter. Und was das Verblüffende ist: Die Aufzeichnungen, egal ob Schwedisch, Englisch oder Deutsch, stimmen, was den Verlauf der Verhandlungen und die Verhandlungsgegenstände betrifft, minuziös überein. Da gibt es überhaupt keinen Zweifel, was da in den letzten zehn Tagen verhandelt worden ist.
Schulbüchern verschweigen historische Tatsachen
Und trotzdem berichten die deutschen Schulgeschichtsbücher nichts, aber auch gar nichts darüber. Es wird nichts erwähnt, weder die humanitäre Tragödie der ukrainischen, jüdischen, deutschen, weißrussischen Minderheit in Polen, noch die Versuche, den Ausbruch eines neuen Krieges zu verhindern.
Fast wie ein Krimi
Ich fand die Verhandlungen in den letzten Tagen vor Kriegsbeginn so spannend, dass ich die letzten Tage Tag für Tag, Stunde für Stunde in meinem Buch nachgezeichnet habe. Ich habe, als ich die Dinge so in den Akten gelesen habe, gedacht, ich lese einen Krimi.
Situation nach 1918
Wir machen nun einen Zeitsprung zurück auf 1918. Das deutsch polnische Verhältnis zwischen beiden Kriegen war nicht immer so schlecht wie 1939. Der Start ist schlecht, und auch das Ende. 1918 nehmen sich die Polen, nachdem das Deutsche Reich gegenüber Amerika, England und Frankreich im Westen hatte Frieden schließen müssen, die bis dahin deutschen Provinzen Posen und Westpreußen. Sie tun dies, ehe ihnen diese Gebiete von den Siegermächten zugesprochen werden. Westpreußen war immerhin zu 70 Prozent deutsch besiedelt, so dass dieser Gewaltstreich Polens von keiner Weimarer Regierung anerkannt worden ist.
Kampf um Oberschlesien
1918 und 19 fordert Polen in Versailles außerdem Teile von Pommern, Schlesien und Ostpreußen für sich, was ihm jedoch nicht zugestanden wird, aber doch Ängste in Deutschland hinterlässt. 1921 startet Polen den Versuch, ganz Oberschlesien mit Milizen und den dort ansässigen polnischen Gastarbeitern zu erobern. Nach einer Volksabstimmung, die Polen zu verhindern sucht, erhält es das ostoberschlesische Industriegebiet von den Siegerstaaten zugesprochen.
Polnische Bedrohung
1933 fordert Polen Frankreich dreimal zu einem Zweifrontenkrieg gegen Deutschland auf, was Frankreich allerdings ablehnt. Polen verfügt 1933 mit 278.000 Mann im Heer also fast 300.000 Mann im Heer, immerhin noch über dreimal so viel Militär wie Deutschland mit seinem 100.000-Mann-Heer. So wird Polen vor Hitlers Amtsantritt 1933 von allen demokratischen Parteien in Deutschland und von der Reichswehr als Bedrohung angesehen.
Piłsudskis Rolle
Erst unter den Diktatoren Hitler Hitler in Deutschland und Piłsudski in Polen gibt es eine Annäherung für ein paar Jahre, die auch nach Piłsudskis Tod 1935 noch für eine Weile anhält. Nach Piłsudskis Versuch von 1933, Frankreich zu einem Krieg gegen Deutschland aufzuwiegeln, der ja erfolglos war, lenkt Piłsudski ein. Er schließt 1934 mit Hitler einen Freundschaftsvertrag. Dem folgt der schon erwähnte erste deutsch-polnische bilaterale Minderheitenschutz Vertrag.
Oderberg und Teschen
Das nun stabile deutsch polnische Verhältnis führt dazu, dass Polen sich 1938 seine Landerwerbung in der zerfallenen Tschechoslowakei von Hitler billigen lässt. Polen annektiert 1938 den tschechischen Teil des Industriegebiets von Teschen und dabei auch die weitgehend deutsch bewohnte Stadt Oderberg, auf die ich noch zu sprechen komme. Oderberg. Teschen, für den, der es nicht weiß: Das Teschener Gebiet ist die Südost-Fortsetzung von Oberschlesien.
Polen als „Schurkenstaat“
Da Polen von 1918 bis 1938 seine Nachbarn Sowjetunion, Litauen, Deutschland und Tschechoslowakei je ein- oder mehrfach angegriffen hat und Grenzgebiete aller seiner Nachbarn annektiert hat, ist Polen bis 1938 für England das, was wir heute als Schurkenstaat bezeichnen. Die Engländer hatten damals einen anderen Ausdruck, der war nicht schmeichelhafter.
Drei deutsch-polnische Probleme
Obwohl sich Deutschland und Polen bis 1938 angenähert haben, gibt es weiterhin die drei deutsch-polnischen Probleme: Erstens die Wahrung der Menschenrechte der deutschen Minderheit in Polen. Zweitens den deutschen Wunsch, das deutsche Danzig wieder an Deutschland anzuschließen. Schließlich fordern das die zu 97 Prozent deutschen Bewohner Danzigs seit Jahren. Und Danzig war Völkerbundsmandat und nicht Teil des Staates Polen. Aber die Sieger hatten Polen in Danzig besondere Zoll-, Post-, Bahn- Wege- und diplomatische Rechte eingeräumt.
Folgen der Weltwirtschaftskrise
Das dritte Problem ist der deutsche Wunsch nach exterritorialen Verkehrswegen vom Reichsgebiet in das seit 1918 abgetrennte Ostpreußen. Dieser deutsche Wunsch kommt nicht von ungefähr. Ostpreußen ist damals nach zwei Verträgen durch acht Eisenbahnverbindungen über nun polnisches Gebiet mit Pommern und Schlesien verbunden. Nach den Verträgen sind die Transitgebühren in Zloty zu bezahlen, was zunächst auch keine Schwierigkeiten bereitet. Während und nach der Weltwirtschaftskrise nimmt Deutschland nicht mehr genug Zloty ein, um die Transitgebühren voll bezahlen zu können, und so überweist die Reichsregierung immer den an Zloty fehlenden Betrag auf ein polnisches Konto, aber in Reichsmark.
Vertragsbruch mit Folgen
Polen sieht darin einen Vertragsbruch, was es formal ja auch war, und schließt zur Strafe ab 1936 eine Eisenbahnstrecke nach der anderen. 67 Prozent der Eisenbahn-Transporte jedoch dienten der Energieversorgung Ostpreußens. Sie fahren Kohle aus Oberschlesien für Industrie, Gewerbe und Hausbrand und die Stromerzeugung in die abgeschnittene Provinz. Schließlich droht Polen einmal damit, bei weiterhin unvollständigen Zloty-Überweisungen auch die letzten Strecken zwischen Ostpreußen und dem Reichsgebiet zu schließen. Damit wäre Ostpreußen von seiner Energieversorgung abgeschnitten und dem wirtschaftlichen Ruin preisgegeben gewesen, wie zwei Jahrzehnte später Berlin durch die sowjetische Blockade.
Suche nach einem Ausweg
So kommt die deutsche Seite auf die Idee, mit den Polen statt über Zloty-Zahlungen zu sprechen, lieber über exterritoriale Verkehrswege unter deutscher Hoheit und Regie zu verhandeln. Damit ist dieser Wunsch entstanden.
Minderheiten, Transit und Danzig
Damit stehen 39 die drei erwähnten deutsch polnischen Problem auf der Tagesordnung, und zwar nach Dringlichkeit das Los der deutschen Minderheit in Polen, die Transitwege nach Ostpreußen und die Zukunft der Stadt Danzig.
Churchills Warnungen
Es ist ganz interessant, dass diese Problematik vor Hitlers Amtsantritt auch schon woanders bemerkt und so gesehen worden ist. So warnt Churchill schon am 24. November 1932 in einer Oberhaus-Rede in London. Er sagt: ‚Wenn die englische Regierung wirklich wünscht, etwas für die Förderung des Friedens zu tun, dann sollte sie die Führung übernehmen und die Frage Danzigs und des Korridors ihrerseits wieder aufrollen, solange die Siegermächte noch überlegen sind. Wenn diese Frage nicht gelöst werden, kann keine Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden bestehen.‘ Ende des Zitats. Das waren nicht etwa Worte von Herrn Hitler, sondern von Herrn Churchill.
Kriegsursachen hausgemacht
Die Ursachen für den neuen Krieg hatten die Sieger in Versailles selbst geschaffen und sie nicht beiseitegeschafft, als die Zeit längst dafür reif war. Hitler glaubt 1938, zwei Trümpfe für die Lösung dieser Probleme in der Hand zu haben.
Hitler bietet Anerkennung der Gebietsgewinne
Der erste: Die polnischen Regierungen hatten die 16 deutschen Reichsregierung vor Hitler gebeten, ihre Gebietsgewinne in Posen, Westpreußen und Oberschlesien als endgültig anzuerkennen. Alle Regierungen der Weimarer Republik hatten dies abgelehnt. Hitler bot diese Anerkennung an.
Verzicht auf Oderberg
Der zweite Trumpf: Die Polen hatten 1938 bei ihrer Annexion des tschechischen Industriegebiets von Teschen auch die überwiegend deutsch bewohnte Stadt Oderberg mit annektieren wollen. Ich hatte das schon erwähnt. Das Auswärtige Amt in Berlin hatte Einspruch dagegen eingelegt. Doch Hitler war hier eingeschritten und hatte Oderberg den Polen zugestanden. Sein Argument: Wir können nicht um jede deutsche Stadt mit Polen streiten. Seine Hoffnung: Dass Polen dafür der Wiedervereinigung der deutschen Stadt Danzig mit dem Deutschen Reich zustimmen würde.
Ein fairer Kompromiss
Nach der Annexion des Teschener Gebiets und Oderbergs durch Polen im September 1938 beginnt Hitler im Oktober 1938 die Verhandlungen mit Polen um Danzig, Transitwege und Einhaltung der Menschenrechte. Sein erstes Angebot: Die Anerkennung der polnischen Gebietserwerbung seit 1918 und die Verlängerung des deutsch polnischen Freundschaftsvertrages von zehn auf 25 Jahre. Im Januar 39 legt Hitler noch einmal nach. Er schlägt vor, wörtliches Zitat: ‚Danzig kommt politisch zur deutschen Gemeinschaft und bleibt wirtschaftlich bei Polen.‘ Ende des Zitats. Ein in meinen Augen faire, sehr faire Kompromisslösung, denn Danzig gehörte ja vorher auch nicht politisch zu Polen. Es war Mandatsgebiet des Völkerbunds.
Das Blatt wendet sich
Bis in den März 1939 hinein gibt es deutsch polnische Verhandlungen. Dabei gibt es leichte Annäherungen, aber keinen Durchbruch. Zu der Zeit ist Polen in Europa wegen seiner vielen Kriege seit 1929 und wegen der Teschen-Annexion im September 38 in England noch geächtet. Ende März 39 aber wendet sich das Blatt. Hitler begeht seinen großen Fehler. Er erklärt die Tschechei entgegen früher gegebener Versprechungen zum deutschen Protektorat und lässt sie besetzen.
Polen wechselt den Partner
Nun brauchen die Briten Verbündete gegen Deutschland, und sie bieten Polen einen Beistandspakt an. Polen wechselt den Partner und geht auf die englische Seite über. Obwohl die deutsch-polnischen Gespräche zunächst noch weiterlaufen, schließt Polen Ende März 1939 den Vertrag mit England, macht seine Truppen teilweise mobil, stellt Korps-Stäbe auf und lässt einen Teil seiner Truppen gegen Ostpreußen aufmarschieren. März 1939.
Befehl zum Angriff gegen Polen
Hitler reagiert. Er gibt am 3. April 1939, also danach, der Wehrmacht erstmals den Befehl, einen Angriff gegen Polen vorzubereiten, und zwar so, dass er am 1. September 39 beginnen könnte. Nun herrscht Eiszeit zwischen Deutschland und Polen. Dennoch macht die deutsche Reichsregierung noch ein paar Anläufe, weiter zu verhandeln. Doch die polnische Regierung, nun mit Rückendeckung Englands, erklärt, der Status der freien Stadt Danzig beruhe nicht auf dem Vertrag von Versailles, sondern auf der jahrhundertelangen Zugehörigkeit Danzig zu Polen, und Posen und Westpreußen gehörten de jure und de facto längst zu Polen. Die angebotene deutsche Anerkennung sei keine Gegenleistung.
Beck: Keine einseitigen Zugeständnisse
Der polnische Außenminister Beck stellt noch mal klar, was er damit meint. Er sagt am 5. Mai 39 vor dem Seijm in Warschau: „Eine Nation, die sich selber achtet, macht keine einseitigen Zugeständnisse.“ Hitler bittet danach die englische Regierung für Deutschland mit den Polen zu verhandeln.
16-Punkte-Vorschlag
Am 30. August 39 macht Hitler den schon von mir zitierten 16-Punkte Vorschlag. Er schlägt dabei als wesentliche Punkte vor: Die Bevölkerung im Korridor soll in einer Volksabstimmung unter internationaler Kontrolle selbst entscheiden, ob sie zu Polen oder zu Deutschland gehören will. Der Wahlverlierer bekommt exterritoriale Verkehrswege durch den Korridor. Bleibt der Korridor bei Polen, kriegt Deutschland exterritoriale Wege nach Ostpreußen. Kommt der Korridor Deutschland, kriegen die Polen exterritoriale Wege von Polen nach Gdingen an der Ostsee. Und Teil des Vorschlags ist auch, dass der Hafen und die Stadt Gdingen an der Ostsee unabhängig vom Wahlausgang bei Polen bleiben. Letzter Teil des Vorschlags: Polen behält außerdem seine Handelsprivilegien in Danzig. Das ist der letzte deutsche Vorschlag vor dem Krieg.
Geschichtsfälschung und Quellenanalyse
Soweit zu der angeblichen Verhandlungsunwilligkeit Hitlers vor dem Krieg, den unsere Schulkinder lernen müssen.
Ich möchte zum Abschluss noch etwas zu den Quellen sagen, aus denen ich geschöpft habe und etwas zum Abschluss des Hitler-Stalin-Paktes, der den Kriegsbeginn ja unmittelbar vorausging.
Weißbuch & Co
Die am häufigsten von mir verwendeten Quellen waren die Akten der diversen auswärtigen Ämter oder Außenministerien. Sie geben mir Aufschluss über den Umgang der Staaten miteinander. Sie wissen, dass offizielle Akten, Gesprächsprotokolle, diplomatische Noten, etwa 30 Jahre, nachdem sie geschrieben worden sind, der Öffentlichkeit und der Wissenschaft zur Verfügung gestellt werden. Sie werden dann zusammengestellt, redigiert, gedruckt und als Bücher herausgegeben. Ich habe hier mal einen solchen Band. Das sind die Akten des Deutschen Auswärtigen Amtes aus der letzten Woche vor Kriegsbeginn. So sieht so was aus. Andere Nationen haben das in gleicher Form. Nur wir nennen unseres ‚Weißbuch‘, und die Franzosen ‚Grünbuch‘, und jeder hat einen anderen Namen.
Schönfärbung
Als Laie, der ich bin, stößt man beim Lesen dieser Akten und anderer Quellen staunend auf viele Eigentümlichkeiten, die die Geschichtsstudenten vielleicht schon früh von ihren Professoren erklärt bekommen. Ich musste mir da erst mal einen Witz kaufen. Die erste fast selbstverständliche Besonderheit ist, dass jede Regierung, jede Nation, die Akten veröffentlicht, vor allem die Akten veröffentlicht, die sie in einem guten Licht darstellen läßt, und die Akten, die ein bisschen riechen, möglichst nicht veröffentlicht. Das hätte mich eigentlich nicht wundern dürfen. Das ist eben so, macht ja eine Privatperson im persönlichen Leben auch so.
Gefälschte Hitler-Zitate
Eine zweite Eigentümlichkeit habe ich erst recht spät bemerkt, die ich mir auch hätte denken können, nämlich die Fälschungen in offiziellen Akten. Ich fand zum Beispiel eine Hitler-Rede mit gefälschten Stellen in den gedruckten und veröffentlichten Akten des deutschen Auswärtigen Amtes, und zwar im Band vor diesem Band. Man veröffentlicht ja kein selbst belastendes Material, wenn man weiß, dass es gefälscht ist. Ich konnte mir auf diesen Sachverhalt keine Erklärung geben. Ich habe gegrübelt und bin auf nichts gekommen, was diese Sache einigermaßen plausibel erklärt.
Lesen Sie das Vorwort: Die wahren Publizisten
Dann habe ich mich an den Geschichtsprofessor gewendet, an den ich mich immer gewandt habe, wenn ich ratlos war. Der hat gesagt: ‚Lieber Schultze, lesen Sie mal das Vorwort in diesen Akten.‘ Und Sie können das Vorwort dieser Akten, aller Vorkriegs- und Kriegsakten des Deutschen Auswärtigen Amtes, die nach dem Krieg veröffentlicht worden sind, lesen. Es steht immer das Gleiche drin. Ich habe das Vorwort gelesen, und da steht, dass diese deutschen Akten ausschließlich von englischen, französischen und amerikanischen Historikern und Archivaren zusammengestellt und veröffentlicht worden sind. Die einzigen deutschen Hände, die hieran mitgearbeitet haben, waren die des Buchdruckers und die des Buchbinders. So kann man natürlich durch Auswahl auch Geschichtsbetrachtungen lenken. So haben es die Sieger uns als Besiegten durch die Auswahl von Akten ihre Lesart von Geschichte aufgedrückt.
Quellenvergleich zeigt nationale Auslassungen
Nachdem ich das entdeckt hatte, habe ich mir die gleichen Akten, die zum Teil schon mal 39, 40, 41 gedruckt und veröffentlicht worden sind, besorgt und habe dann die zwei Akteneditionen verglichen und festgestellt: Einmal haben die Deutschen was weggelassen, und mal haben die Engländer, Franzosen und Amerikaner etwas weggelassen und damit geschönt.
Keine Geheimakten: Quellen sind öffentlich zugänglich
Ich fand aber, dass diese Akten, obwohl sie nur von Engländern, Franzosen und Amerikanern ausgewählt worden sind, immer noch aufschlussreich genug. Und ich fand auch die englischen Akten, belgischen und anderen aufschlussreich genug, auch wenn ich bei den englischen viele Auslassungen festgestellt habe. Man findet sehr viel Interessantes, ohne dass man Zugang zu Geheimakten hat.
Berge von Akten
Ich hatte Ihnen gesagt, dass dies die Akten einer Woche sind. Sie können sich vorstellen, dass, wenn man die Vorkriegszeit bearbeitet, man dann vor einem großen Regal mit Akten steht, die man gar nicht alle lesen kann, wenn man jemals mit seiner Arbeit fertig werden will. Und so habe ich dann eben selektiv gearbeitet. Die Akten zu den Ereignissen gelesen, über die ich was wissen wollte, über die ich schreiben wollte. Aber wie das denn so ist: Man will ja auch wissen, was ist kurz vorher gelaufen und was ist kurz nachher gelaufen? Und da habe ich ein bisschen davor gelesen und ein bisschen danach gelesen.
Das geheimen Zusatzprotokoll vom 23. August 1939
Und da bin ich auch auf manches gestoßen, nach dem ich gar nicht gezielt gesucht habe, nachdem ich gar nicht gesucht habe. Und dafür möchte ich Ihnen jetzt zum Schluss ein Beispiel geben. So steht in allen deutschen Geschichtsbüchern Hitlers Untat, die drei baltischen Staaten Stalin zu überlassen, und zwar mit dem geheimen Zusatzprotokoll vom 23. August 1939. Auf mich hat das immer wie ein finsteres Komplott zwischen Hitler und Stalin gewirkt. Ein Komplott, mit dem die Litauer, die Letten, die Esten, die Finnen und Ostpolen der Sowjetunion zugesprochen worden sind.
Schurkerei
Es gibt dieses geheime Zusatzprotokoll, und dieses geheime Zusatzprotokoll ist eine Schurkerei. Da gibt es gar keinen Zweifel. Aber ich fand die Begleitumstände interessant, die ich so noch nirgendwo gelesen hatte, aber die jeder von Ihnen in diesen Akten nachlesen kann. Und jeder von Ihnen kann in jeder Universitätsstadt, die eine historische Fakultät hat, diese Akten einsehen.
Der schwarze Peter geht an Deutschland
Unmittelbar vor den deutsch-sowjetischen Verhandlungen in Moskau fanden sowjetisch-französisch-britische Verhandlungen in Moskau statt, und da waren es die Briten und Franzosen, die einen Beistandspakt mit den Sowjets wollten. Und da waren es die Briten und Franzosen, die den Sowjets die drei Balkanstaaten auf den Opferaltar gelegt hatten. Da hatten sich schon Briten und Franzosen damit einverstanden erklärt, dass die Balten unter sowjetische Kontrolle kommen. Nur deren Vertrag ist da nicht unterschrieben worden. Unserer ist unterschrieben worden. Also die gleiche Schurkerei von der Absicht her schon bei Briten und Franzosen, was unsere Schurkerei kein Stückchen besser macht.
Ursprünglich geplant: Unabhängigkeit der drei baltischen Staaten
Nun kommt ein Zufallsfund in den Akten des Auswärtigen Amtes. Ich lese dort, wie bekannt, dass die deutsche Reichsregierung einen Nichteinmischungs- Pakt mit der Sowjetunion anstrebt und deshalb in Moskau vorstellig wird. Der deutsche Botschafter in Moskau, Graf von der Schulenburg, erhält einen Besuchstermin im sowjetischen Außenministerium beim sowjetischen Außenminister Molotow. Molotow schlägt ihm in Frageform vier Verhandlungsgegenstände vor. Punkt1: Der erwünschte Nichtangriffspakt. Punkt 4 ist eine gemeinsame deutsch sowjetische Bestandsgarantie für die weitere Unabhängigkeit der drei baltischen Staaten. Sie haben richtig gehört: Unabhängigkeit der drei baltischen Staaten. Der deutsche Außenminister von Ribbentrop, von Schulenburg informiert, antwortet auf dieses Gespräch mit einem Brief und erklärt sich mit allen vier Verhandlungsgegenständen, die Molotow vorgeschlagen hat, einverstanden. Und er schreibt auch noch mal expressis verbis, dass er mit der Unabhängigkeitserklärung für die drei baltischen Staaten einverstanden ist.
Geheimer Zusatz bleibt geheim
Beim nächsten Treffen Molotows mit von der Schulenburg sagt Molotow, dass Deutschland seinen Nichtangriffspakt wie gewünscht haben könnte, aber dazu ein geheimes Zusatzprotokoll unterschreiben müsste. Und er betont am Ende des Gesprächs noch einmal ausdrücklich: Pakt Ja, aber nur mit einem geheimen Zusatz. Da fragt der deutsche Botschafter natürlich auf der Stelle, wie es seines Amtes ist, was denn in diesem geheimen Zusatz stehen soll. Molotow gibt ihm keine Antwort.
Fataler Fehler: Glauben statt Wissen
Die deutsche Seite glaubt nun, es ginge im geheimen Protokoll um die Bestandsgarantie für die drei baltischen Staaten, oder zumindest es ginge auch darum. Als der deutsche Botschafter aus Moskau den deutschen Außenminister in Berlin von diesem Gespräch mit Molotow berichtet, versichert der Minister in seiner Reaktion, er sei mit allen Verhandlungsgegenständen einverstanden, auch mit der gemeinsamen deutsch-sowjetischen Garantie für die drei baltischen Staaten. Ganz faszinierend, wie in jeder Note und in jeder Gesprächsprotokoll der Punkt Unabhängigkeit der drei baltischen Staaten wieder erwähnt wird. Also Irrtum ausgeschlossen.
Nichtangriffspakt-Entwurf ohne geheimes Zusatzabkommen
Kurz darauf leitet Molotow der deutschen Seite einen Entwurf für den Nichtangriffspakt zu. Der Text für das geheime Zusatzabkommen fehlt. Es ist ja üblich, dass man Texte vorher austauscht, wenn man was unterschreiben will, will man es vorher lesen, noch mal drüber nachdenken, vielleicht am Text feilen. Statt des noch fehlenden Textes lädt Stalin von Ribbentrop nach Moskau ein.
Von Ribbentrops Täuschung
Am 23. August 1939, sieben Tage vor Kriegsausbruch, reist der deutsche Außenminister von Ribbentrop mit Unterzeichnungsvollmacht nach Moskau. Um 16 Uhr an diesem Tag tritt er erstmals in seinem Leben Auge in Auge Stalin im Kreml gegenüber. Und Ribbentrop glaubt immer noch, dass er gleich neben dem Nichtangriffspakt auch die Garantieerklärung für die drei baltischen Staaten unterschreiben soll. Um Mitternacht jedoch wird schon der berühmte deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt unterzeichnet und mit ihm das berüchtigte Zusatzprotokoll, in dem die drei baltischen Staaten, Finnland und Ostpolen den Sowjets als Interessengebiet zugesprochen werden.
Mit dem Rücken an der Wand
Was ist in den acht Stunden zwischen 16 Uhr, erstem Gegenübertreten Stalin / Ribbentrop und Mitternacht, der Unterzeichnung, geschehen? Molotow eröffnet von Ribbentrop den Inhalt des geheimen Zusatzabkommen, nämlich die Aufteilung Osteuropas in zwei Interessensphären. Von Ribbentrop ist überrascht. Damit hat er nicht gerechnet. Er hat zwar Verhandlungsvollmacht und Unterzeichnungsvollmacht, aber das ist ihm eine Nummer zu groß. Er will das nicht verhandeln. Er bittet Stalin um eine Konferenzunterbrechung. Die wird ihm gewährt. Ribbentrop fährt aus dem Kreml rüber in die deutsche Botschaft, ruft aus der deutschen Botschaft in Berchtesgaden bei Hitler an und berichtet. Hitler hat damit selbst nicht gerechnet. Er ist perplex, aber mit dem Rücken an der Wand. Denn die deutsch polnische Lage hat sich inzwischen so zugespitzt, dass er den Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion Sowjetunion braucht. Und Hitler sagt von Ribbentrop: Unterzeichnen Sie!
Sowjetischer Überraschungscoup
So ist dieses geheime Zusatzabkommen ein Überraschungscoup der Sowjets. Neulich hat die Frankfurter Allgemeine noch das Gegenteil geschrieben. So habe ich das nirgendwo gelesen. Jeder von Ihnen, jeder Geschichtsstudent, jeder Geschichtsprofessor kann es in diesen Akten nachlesen und ich wundere mich, dass nie darüber geschrieben wird. Hitler hat hier akzeptiert, was vorher schon die Briten und Franzosen akzeptiert haben. Trotzdem war das ein Vergehen an der Souveränität der Balten und der Finnen.
Spionage-Wege
Zu dem geheimen Zusatzabkommen gehört auch, dass Deutschland der Sowjetunion freie Hand in Ostpolen eingeräumt hat Ostpolen. Kaum dass das geheime Zusatzabkommen unterschrieben ist, etwa Mitternacht, wird es noch am gleichen Vormittag, etwa 10 Uhr, von einem deutschen Diplomaten aus der deutschen Botschaft in Moskau an einen amerikanischen Diplomaten aus der amerikanischen Botschaft in Moskau verraten. Der überbringt das sofort seinem Botschafter. Der telegrafiert das sofort rüber nach Washington. Und wenn Sie an die Zeitdifferenz von Moskau nach Washington denken, dann ist ihnen klar, dass Roosevelt, als er morgens ins Oval Office kam, den Inhalt des geheimen Zusatzabkommens bereits auf dem Schreibtisch liegen hatte.
Roosevelts Heimtücke
So hat Roosevelt sofort Kenntnis davon, dass Polen nun von Deutschland und der Sowjetunion bedroht ist. Roosevelt hält dieses Wissen vor den Polen geheim. Er lässt die Polen stattdessen wissen, sie sollten in der Danzig-Frage unnachgiebig bleiben. So hat Roosevelt die Polen wissentlich in eine deutsch-sowjetische Falle laufen lassen. Und Sie können mit Sicherheit davon ausgehen, dass die Polen in Kenntnis dieser neuen Gefahr lieber auf ihre ohnehin begrenzten Rechte im Freistaat Danzig verzichtet hätten, als stattdessen Ostpolen an die Sowjets zu verlieren.
Die Sieger schreiben die Geschichte
So stellen sich eben bei genauer Akteneinsicht viele Dinge anders dar, als wir sie so in der deutschen Nachkriegsliteratur zu lesen bekommen.
Deutsche Verhandlungsbemühungen und Einigung Hitlers mit Stalin
So, meine Damen und Herren, das waren die deutsch-polnischen Spannungen, die zum Krieg geführt haben. Das waren die deutschen Verhandlungsbemühungen um die Heimkehr Danzigs, die den Krieg nicht verhindern konnten. Und das war die Einigung Hitlers mit Stalin, die dem Deutschen Reich den Rücken frei gemacht hat für einen Krieg gegen Polen.
Geschichtsfälschungen korrigioeren
Für mich selbst war vieles von dem neu, als ich mit meinen Arbeiten begonnen habe. Ich behaupte heute, dass meine Generation zum Teil gefälschte Geschichte hat lernen müssen. Bitte geben Sie die wahre Geschichte an Ihre Enkel und Kinder weiter.“
(Ende des Transkripts)