Hollywood-Klassiker: ‚Das Urteil von Nürnberg‘
„Eines meiner Hobbys sind Kinofilme, also wirklich Hollywood-Klassiker. Einer meiner Lieblingsfilme heißt „Das Urteil von Nürnberg“, aus dem Jahr 1961, in der Hauptrolle Spencer Tracey, Marlene Dietrich, Richard Widmark — also die ganzen großen alten Filmhelden.
Gerichtssaal-Drama: Kriegsverbrecherprozess im Filmklassiker
Der Film handelt von einem Kriegsverbrecherprozess kurz nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges, und auf der Anklagebank sitzen diesmal die Richter des Nazi-Reiches. Einer war der Richter, gespielt von Burt Lancaster, verteidigt von dem großen Maximilian Schell, der einen Rechtsanwalt spielt, mit dem Rechtsanwalt mit dem Namen Rolf.
Intensiver Wendepunkt im Film: Schockierende Verhörmethoden
Das Besondere ist: Burt Lancester sitzt bis kurz vor Ende des Films ruhig auf der Anklagebank und sagt kein Wort. Dann kommt es zu einer Schlüsselszene: Sein Verteidiger vernimmt eine junge Frau und vernimmt die mit den übelsten Verhörmethoden, wie sie in der Nazizeit auch üblich waren. Er bedrängt sie, er beschuldigt sie, er schreit sie an, und der Zuschauer merkt: Die Frau bricht gleich zusammen. Nicht etwa, weil sie irgendwas zu verbergen hat, sondern aufgrund dieser Verhörmethoden.
Ernüchternder Moment: Burt Lancasters eindringliche Mahnung im Gerichtssaal
Und in dieser Situation steht Burt Lancaster plötzlich auf, guckt seinen Verteidiger an und ermahnt ihn und sagt: „Herr Rolf, ist es schon wieder so weit?“
Der Film hat mich, als ich ihn vor 25 Jahren zum ersten Mal gesehen habe, sehr beeindruckt.
Richterliche Mitverantwortung: Das Versagen der Justiz während der NS-Zeit
Denn ein Vorwurf, den man meinem Berufsstand vollkommen zu Recht macht, ist das Versagen während der Nazi-Herrschaft. Weder nach der Notverordnung von 1933, noch nach der Ernennung von Adolf Hitler zum obersten Gerichtsherrn im Jahr 42 gab es viele Richter, die sich dem Regime widersetzt haben. Im Gegenteil, die meisten haben mitgemacht. Nicht wenige haben sich davon einen Karrieresprung erhofft, mit Recht. Die meisten hatten einfach nur Angst. Nicht etwa Angst, eingesperrt zu werden oder umgebracht zu werden. Nein, die hatten Angst, ihren Job zu verlieren.
Politische Einflussnahme: Wie die NS-Regierung die Richterschaft kontrollierte
Nun war es damals relativ leicht, auf so eine große Gruppe wie die Deutsche Richterschaft Einfluss auszuüben, denn damals wurden die Direktoren und die Vizedirektoren, die Präsidenten und die Vizepräsidenten der Gerichte von der Regierung bestimmt. Auf diese Weise konnten die bequemen Richter angehoben werden und die Unbequemen mit eigener Meinung unten gehalten werden. Das war damals.
Ernüchternde Realität: Fortbestehender Regierungseinfluss auf Richterposten in Deutschland
Heute ist das natürlich ganz anders. Heute haben wir eine Gewaltenteilung. Oder? – Ich muss Sie da auch leider enttäuschen. Also, wer das noch nicht weiß, es ist so: Auch heute noch werden die Direktoren, die Vizedirektoren, die Präsidenten, die Vizepräsidenten der Amtsgerichte, der Landgerichte, der Oberlandesgerichte von der Regierung der jeweiligen Bundesländer bestimmt. Und auch heute noch besteht daher die Möglichkeit, die bequemen Richter zu fördern und die unbequemen Richter unten zu halten.
Warnung vor Machtmissbrauch: Die Anfälligkeit der deutschen Justiz heute
Und ein Missbrauch der deutschen Richterschaft ist deshalb heute ebenso leicht möglich, wie vor 87 Jahren.
Unvorhergesehene Reaktionen: Plötzliche Flut von Nachrichten nach Buchveröffentlichung
Nun passierte im letzten Jahr, nachdem ich das Buch veröffentlicht habe, wo ich auf diese Problematik auch hinweise, auf diese Gefahr auch hinweise, folgendes:
Zwei, drei Wochen später saß ich im Sitzungssaal und habe eine Sitzung geleitet. Und während so einer Sitzung schalte ich immer mein Handy aus, weil ich hasse das, wenn es zwischendurch klingelt oder brummt. Ich komme nach zwei, drei Stunden aus der Sitzung raus, mache das Handy wieder an und 20 Meldungen, 25 Meldungen, SMS, WhatsApp-Sprachnachrichten. Was war geschehen?
Gerüchte und Missverständnisse: Falsche Annahmen über Dienstentlassung nach Buchkritik
Bei der Polizei, mit der ich als Strafrichter natürlich oft und eng zusammenarbeite, hatte sich in Windeseile das Gerücht verbreitet, ich sei gerade aus dem Dienst entfernt worden, weil ich dieses Buch geschrieben habe, in dem ich auf das Justizsystem und seine Fehler hinweisen. Die haben sich das wirklich so vorgestellt: Ich stehe jetzt da vor dem Gericht, habe einen Pappkarton in der Hand, wie in diesem amerikanischen Film, mit Locher drin und Tacker und Schreibtischlampe. Hätte ich gar nicht mitnehmen dürfen, gehört mir alles gar nicht. Und steht da jetzt im Regen.
Verbreitete Falschinformationen: Der Staatsanwalt und die Sorge um Meinungsfreiheit
Jetzt hat man mich nicht erreicht. Was hat man gemacht? Man hat einen befreundeten Staatsanwalt angerufen und hat ihm gesagt: „Schon gehört? Richter Schleif ist aus dem Dienst entfernt worden, weil er dieses Buch geschrieben hat.“ Er ist studierter Jurist, und jetzt hätte er eigentlich sagen müssen: „Wir leben hier in der Bundesrepublik Deutschland. Da wird kein Richter aus dem Dienst entfernt, weil der seine vom Grundgesetz geschützte Meinungsäußerung, seine Meinungsfreiheit wahrnimmt, weil er ein Buch schreibt. Das geht gar nicht.“ Das hat er aber nicht getan, sondern seine Antwort war in etwa: „Naja, rechtmäßig wäre das nicht, aber vielleicht haben sie es einfach getan.“
Starke Unterstützung: Die Taffheit der Ehefrau gegen Gerüchte
Die Geschichte geht noch weiter. Als auch mein befreundeter Staatsanwalt mich nicht erreicht hat, hat man meine Ehefrau angerufen: „Schon gehört, dein Mann ist aus dem Dienst entfernt worden, weil er dieses Buch geschrieben hat.“ Jetzt habe ich das Glück, ich habe eine Ehefrau, die ist richtig taff. Ich sage immer, die könnte bei Michael Kuhr in der Firma arbeiten. Und die hat gesagt: „Quatsch, ihr erreicht ihn nicht, weil er in der Sitzung ist.“ –„Ja, aber hör doch mal, kann doch sein…“ – „Nein, das kann nicht sein.“ — „Ja, aber hör doch mal, wenn du ihn erreichst, sag ihm doch, er kann sich ja mal melden.“
Mutige Entscheidungen: Die Bedenken der Kollegen nach der Buchveröffentlichung
Ich habe dann ein paar Anrufe getätigt und die Leute beruhigt. Und ich muss dazu auch sagen: Ich habe bisher weder eine dienstliche Maßregel bekommen, noch hat man irgendwie versucht, mich aus dem Dienst zu entfernen. Wohl aber habe ich mit mehr als einem Dutzend Kollegen gesprochen. Da war die Grundaussage folgende: „Wow, das ist ganz schön mutig. Deine Karriere ist ja jetzt sowieso zu Ende. Glaubst du nicht, dass du deinen Job verlierst?“
Geteilte Emotionen: Dankbarkeit und Besorgnis
Diese Geschichte hat mich in zweierlei Hinsicht sehr beeindruckt. Zum einen war ich sehr gerührt, dass sich so viele Menschen aus meinem Freundes- und Kollegenkreis Sorgen mich gemacht haben. Zum anderen war ich sehr erschrocken, dass sich so viele Menschen aus meinem Freundes- und Kollegenkreis Sorgen mich gemacht haben.
Überraschende Reaktionen: Zweifel an der Meinungsfreiheit selbst unter Kollegen
Was habe ich getan? Ich habe ein Buch geschrieben. Selbst meine Kollegen, die das Ganze studiert haben, genauso wie ich, die hätten sagen müssen: „Er hat ein Buch geschrieben. Artikel 5, Meinungsfreiheit, alles wunderbar. Darf er aus dem Dienst entfernt werden? Nie im Leben.“ Nein, auch die haben gesagt: „Glaubst du nicht, dass du jetzt rausgeschmissen wirst?“
Nachdenklicher Rückblick: Parallelen zum Film und die zentrale Frage
Und als mir das klar geworden ist, ist mir der Film wieder eingefallen, von dem ich Ihnen gerade erzählt habe. Und deswegen möchte ich Sie jetzt zum Abschluss fragen: Ist es schon wieder so weit?
Danke schön.“
(Ende des Transkripts)